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Lexikon > Hochsensibilität



grund=Die meisten der belegten Angaben sind nicht nachprüfbar, weil die Seitenzahlen weggelassen wurden.
Hochsensibilität (deutsche Terminologie uneinheitlich; auch: Hochsensitivität, zuweilen auch missverständlich: Hypersensibilität oder Überempfindlichkeit) bezeichnet ein psychologisches und neurophysiologisches Phänomen.
Betroffene nehmen Sinnesreize viel eingehender wahr, verarbeiten diese tiefer und reagieren auch dementsprechend stärker darauf als der Bevölkerungsdurchschnitt. Bisher gibt es jedoch keine eindeutige und allgemein anerkannte neurowissenschaftliche Definition des Phänomens Hochsensibilität, da die wissenschaftliche Forschung dazu (High-Sensitivity-Forschung) noch ganz am Anfang steht.

Wissenschaftlicher Hintergrund


Der Begriff Hochsensibilität wurde 1997 von der US-amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron für ein Phänomen Betroffener etabliert, bei dem, so die Theorie, Gehirnreize anders als bei durchschnittlich sensiblen Menschen verarbeitet werden. Ein allgemeingültiges, einheitliches Diagnoseverfahren, mit dem man Hochsensibilität zweifelsfrei feststellen kann, gibt es nicht.1 Als eine psychologische und neurophysiologische Ausprägung, soll das Phänomen laut einiger Experten bei etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung auftreten.1 Erklärt wird diese von Elaine Aron sensory processing sensitivity genannte höhere Empfindlichkeit mit einer besonderen Konstitution der Reize verarbeitenden neuronalen Systeme. Dabei handelt es sich nicht um eine von Aron von Grund auf neu entwickelte Theorie. Bereits Jerome Kagan, Alice Miller, Carl Gustav Jung und Iwan Petrowitsch Pawlow beschäftigten sich mit der Erscheinung der erhöhten Sensitivität innerhalb der menschlichen Spezies, ohne jedoch eine ausreichend fundierte theoretische Basis zu schaffen. Einem Erklärungsansatz zufolge stufe der Thalamus bei hochsensiblen Personen (HSP) mehr Reize als „wichtig“ ein, die dann das Bewusstsein erreichten.2

Allgemeine Merkmale


Die Bandbreite möglicher Erscheinungsformen von Hochsensibilität wird als sehr groß dargestellt. Je nach individueller Ausprägung der Hochsensibilität sollen praktisch alle Arten von Sinneseindrücken stärker und damit detaillierter wahrgenommen werden können; häufig wird auch von höherer Intensität des Empfindens von Stimmungen der Mitmenschen berichtet. Intellektuell erfahre man sich zum Teil als intensiver und gründlicher analysierend, mit einer Neigung zur Spiritualität.3
Hochsensibilität wird nicht als einheitliches Merkmal verstanden, sondern dahingehend interpretiert, dass es verstärkt in unterschiedlichen Bereichen (sensorisch, emotional, kognitiv) und verschiedenen Ausprägungen auftritt. Viele hochsensible Menschen sind Mischtypen, bei denen eine erhöhte Sensibilität in mehr als einem Bereich auftritt.333

Hochsensibilitäts-Test


Elaine Aron hat einen Hochsensibilitäts-Test ausgearbeitet, der heute in der Psychologie zur empirischen Erfassung der Hochsensibilität Verwendung findet. Spätere Forschung konnte die Validität des Testverfahrens bestätigen. Allerdings umfasst dieser Test nicht, wie von Aron angenommen, nur eine einheitliche Dimension von Hochsensibilität, sondern drei verschiedene Komponenten:34
  • Die erste ist charakterisiert durch schnelles Überfordertsein von inneren und äußeren Anforderungen.

  • Die zweite Komponente beschreibt Sensitivität gegenüber ästhetischen Reizen.

  • Die dritte Komponente drückt sich aus in einer als unangenehm empfundenen sensorischen Erregung auf äußere Reize.

Die jeweiligen Komponenten sind dabei unterschiedlich mit verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen assoziiert. Die ästhetische Sensitivität steht vor allem mit ‚Offenheit für neue Erfahrung‘ in Verbindung, während die anderen beiden, die stärkere sensorischen Erregbarkeit durch äußere Reize und die schnellere Überforderung von inneren und äußeren Anforderungen, eher mit ‚Neurotizismus‘ korrelieren (siehe ‚Big Five‘-Modell). Ohne eine abgeschlossene neurowissenschaftliche Theorie bleiben jedoch viele methodische Unklarheiten.

Parallelen zu ADHS


Ein Zusammenhang zwischen Hochsensibilität und der Diagnose ADHS wird diskutiert.5 Offenbar gibt es bei ADHS-Betroffenen häufig Merkmale, die auch auf hochsensible Menschen zutreffen.6 Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass hochsensible Menschen automatisch an ADHS leiden. So kommt es mitunter zu Fehldiagnosen. Hochsensible Menschen profitieren häufiger als Menschen mit ADHS von einer reizarmen Umgebung und leiden dann weniger unter Konzentrationsschwierigkeiten oder Aufmerksamkeitsdefiziten.7 Der Verein Informations- und Forschungsverbund Hochsensibilität (IFHS) ist der Meinung, dass veraltete Vorstellungen die korrekte Hochsensibilitäts-Erkennung und empirische Datenerhebung erschweren, und sieht Aufklärungsbedarf.8

Alltagsleben und Gesellschaft


Hochsensible Menschen messen oft selbst scheinbar unwichtigen Sachen große Bedeutung bei. Der Hang zur Detailverliebtheit sowie die Wertschätzung sozialer Kommunikation erfordern Zeit, Sorgfalt und eine ruhige Atmosphäre, die nicht immer gegeben ist.8 Deshalb sehen sich Hochsensible zum Teil mit Appellen konfrontiert, sich an die Gegebenheiten anzupassen (z. B. „Stell dich nicht so an!“). Gemessen am Ideal der Leistungsgesellschaft ist dies mitunter ein Nachteil, auch deshalb, weil hochsensible Menschen oft typische Querdenker sind und in ihren Problemlösungsstrategien nicht den gesellschaftlichen Standards entsprechen. Regeln sind somit für sie oft zu grob, undifferenziert oder ungerecht.8 Deshalb ist für viele Hochsensible das Finden des für sie richtigen Berufs und Arbeitsplatzes, bei dem ihre spezifischen Fähigkeiten zum Tragen kommen und geschätzt werden, aber auch ihr Wunsch nach Harmonie, Sinn und Werteorientierung in einer von Wettbewerb geprägten Gesellschaft befriedigt wird, eine besondere Herausforderung. Es dauert oft lange, bis sie eine passende Tätigkeit finden.89
Aber auch im privaten Bereich ist Hochsensibilität nur bedingt ein Vorteil. Zwar ermöglicht sie sehr enge zwischenmenschliche Beziehungen und mitunter größere Intimität, Harmonie und tieferes Verständnis, aber hochsensible Menschen stoßen bei Außenstehenden leicht auf Unverständnis, weil sie häufig verschiedene Wahrnehmungen oder differierende Bedürfnisse in bestimmten Situationen (z. B. Aktivitäts- oder Reizverminderung oder Zeiten des Alleinseins) haben.10 Zwar gibt es Hinweise, dass insbesondere Partnerschaften zwischen zwei hochsensiblen Menschen besonders harmonisch, intim und tragfähig sind, aber auch Beziehungen zwischen einem hochsensiblen und einem nicht-hochsensiblen Menschen können von den besonderen Qualitäten profitieren, wenn diese Unterschiede als Bereicherung (Ergänzung, voneinander lernen, miteinander wachsen) wahrgenommen werden.111213 Bisweilen neigen Hochsensible dazu, dem „gedankenlosen“ oder „unsensiblen“ Verhalten des Gegenübers eine höhere Bedeutung beizumessen und daraus mitunter weitreichendere Schlüsse zu ziehen, was zuweilen zu Kommunikationsproblemen zwischen Hochsensiblen und nicht-hochsensiblen Menschen führen kann.14 Dennoch korreliert Hochsensibilität in der Regel mit hohem Einfühlungsvermögen (Empathie).

Literatur


  • Elaine Aron: The Highly Sensitive Person’s Workbook. Broadway Books, 1999, ISBN 978-0-7679-0337-0.
  • W. Klages: Der sensible Mensch. Psychologie, Psychopathologie, Therapie. Enke Ferdinand-Verlag, 1991.
  • B. Meyer, M. Ajchenbrenner, D. P. Bowles: Sensory sensitivity, attachment experiences, and rejection responses among adults with borderline and avoidant features. In: Journal of Personality Disorders, 19, 2005, S. 641–658.
  • J. A. Neal, R. J. Edelmann, M. Glachan: Behavioural inhibition and symptoms of anxiety and depression: Is there a specific relationship with social phobia? In: British Journal of Clinical Psychology, 41, 2002, S. 361–374.
  • L. Rohleder: Die Berufung für Hochsensible: Die Gratwanderung zwischen Genialität und Zusammenbruch. 2015, ISBN 3-9815711-4-2.15
  • Ilse Sand. Die Kraft des Fühlens: Hochsensibilität erkennen und positiv gestalten. München. C. H. Beck. [Ohne Jahr]. S.153. ISBN 978-3-406-69793-7.16
  • J. Kagan: Galens Prophecy; Temperament in human nature. New York Basic Books, 1994.


Weblinks



    Medienberichte
    • Nico-Elliot Kälberer: [http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,787489,00.html Hochsensible Menschen: Sehe ich komisch aus? Was denken die von mir? Warum ist es hier so laut?] In: Spiegel Online, 29. September 2011 ([https://web.archive.org/web/20181212190230/http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/hochsensible-menschen-sehe-ich-komisch-aus-was-denken-die-von-mir-warum-ist-es-hier-so-laut-a-787489-druck.html Archiv]).
    • Karl Relig: [https://www.zeit.de/community/2014-08/hochsensibel-empfindsam-erfahrung/komplettansicht Hochsensibilität: Wie eine Schnecke ohne Haus.] In: Zeit Online, 16. September 2017 (Leserartikel, [https://web.archive.org/web/20181212185917/https://www.zeit.de/community/2014-08/hochsensibel-empfindsam-erfahrung/komplettansicht?print Archiv]).
    • Jessica Kühn: [https://www.sueddeutsche.de/leben/hochsensibel-leben-ohne-filter-im-kopf-1.3768484 Hochsensibel: Leben ohne Filter im Kopf.] In: Süddeutsche Zeitung, 4. Januar 2018 ([https://web.archive.org/web/20181212185308/https://www.sueddeutsche.de/leben/2.220/hochsensibel-leben-ohne-filter-im-kopf-1.3768484 Archiv]).
    • Martin Hubert: [https://www.swr.de/wissen/gibt-es-ein-gen-fuer-hochsensibilitaet/-/id=253126/did=20948132/nid=253126/4gjj6y/index.html Gibt es ein Gen für Hochsensibilität?] In: SWR2 Impuls, Südwestrundfunk, 10. Januar 2018 ([https://www.swr.de/wissen/gibt-es-ein-gen-fuer-hochsensibilitaet/-/id=253126/did=20948132/nid=253126/4gjj6y/index.html Archiv]).
    • [https://www.suedkurier.de/ueberregional/panorama/Ist-Hochsensibilitaet-nur-eine-Modediagnose;art409965,10010165 Ist Hochsensibilität nur eine Modediagnose?] (Südkurier.de, abgerufen 13. Januar 2019)


    Einzelnachweise


    1 Matthias Lauerer. Das unerträgliche Hämmern des Uhrzeigers. [Ohne Ort]. [Ohne Verlag]. [Ohne Jahr].
    2 Klages 1991
    3 Brackmann, Andrea.. Jenseits der Norm - hochbegabt und hoch sensibel? : die seelischen und sozialen Aspekte der Hochbegabung bei Kindern und Erwachsenen. Stuttgart. Pfeiffer bei Klett-Cotta. [Ohne Jahr]. ISBN 3-608-89002-5.
    4 Arne Evers, Jochem Rasche, Marc J. Schabracq. High sensory-processing sensitivity at work.. [Ohne Ort]. [Ohne Verlag]. [Ohne Jahr]. S.189–198.
    5 Corinne Huber: http://www.ads-beratung.ch/elpost42.pdf ADHS und Hochsensibilität/Hochsensitivität (PDF; 273 kB). In: Elpost, Nr. 42, Herbst 2010, S. 26–30 (https://web.archive.org/web/20181219050041/http://www.ads-beratung.ch/elpost42.pdf Archiv).
    6 Helga Simchen: http://www.adhs-deutschland.de/Home/ADHS/ADHS-ADS/Das-Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom-ohne-Hyperaktivitaet.aspx ADHS/ADS. Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ohne Hyperaktivität und seine Besonderheiten bei der Diagnostik und Therapie. ADHS Deutschland e.V., abgerufen am 20. Januar 2014 (https://web.archive.org/web/20181219050247/http://www.adhs-deutschland.de/Home/ADHS/ADHS-ADS/Das-Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom-ohne-Hyperaktivitaet.aspx Archiv).
    7 Barbara Stelzer: http://www.salzburg.com/nachrichten/gesundheit/sn/artikel/hochsensible-menschen-haben-ihre-begabungen-88581/ Hochsensible Menschen haben ihre Begabungen. In: Salzburger Nachrichten. 2. Januar 2014, abgerufen am 20. Januar 2014 (https://web.archive.org/web/20181219050435/https://www.sn.at/leben/gesundheit/hochsensible-menschen-haben-ihre-begabungen-4100371 Archiv).
    8 http://www.hochsensibel.org/dokumente/Aerzteinfo.pdf Hochsensibilität – Kurzinformation für VertreterInnen von Heilberufen (Somato-Pathologie), Informations- und Forschungsverbund Hochsensibilität e.V., 27. Oktober 2013, abgerufen 11. Januar 2016. (PDF; 95 kB).
    9 Rohleder, Luca.. Die Berufung für Hochsensible : die Gratwanderung zwischen Genialität und Zusammenbruch (2. Aufl.). Leipzig. Dielus ed. [Ohne Jahr]. ISBN 978-3-9815711-4-1.
    10 Schorr, Brigitte. Hochsensible in der Partnerschaft (1. Aufl). Holzgerlingen. SCM Hänssler. [Ohne Jahr]. ISBN 978-3-7751-5572-4.
    11 Guido F. Gebauer, Dipl.-Psych.: Hochsensibilität: Umfrage-Ergebnis und Test. Abgerufen am 28. August 2017 (https://hochsensible.eu/2017/02/05/hochsensibiltaet-umfrage-ergebnis-und-test/ Archiv).
    12 Guido F. Gebauer: Hochsensibilitätstest (HSP-Test). Abgerufen am 28. August 2017 (https://web.archive.org/web/20181219051257/https://hochsensible.eu/2017/06/10/hochsensibilitaetstest-hsp-test/ Archiv).
    13 Guido F. Gebauer, Dipl.-Psych.: Hochsensible Liebe: Ringen um Verständnis und Abgrenzung – Was Betroffene sagen. Abgerufen am 28. August 2017 (https://web.archive.org/save/https://hochsensible.eu/2016/10/03/hochsensible-liebe-ringen-um-verstaendnis-und-abgrenzung/ Archiv).
    14 Julia Bender: Buchkritik zu „Die Kraft des Fühlens“: Chance statt Hindernis. In: Spektrum.de, 7. April 2017, abgerufen am 16. Dezember 2018 (Archiv).
    15 Andrea Lehky: https://diepresse.com/home/karriere/karrierenews/5181476/Denen-das-Gehirn-glueht Denen das Gehirn glüht. In: Die Presse, 14. September 2017, abgerufen am 16. Dezember 2018.
    16 Julia Bender: https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-die-kraft-des-fuehlens/1441512 Buchkritik zu {{"|Die Kraft des Fühlens}}: Chance statt Hindernis. In: Spektrum.de, 7. April 2017, abgerufen am 16. Dezember 2018.



    Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Hochsensibilität

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